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Extremer Selbstversuch: Als Kulturwissenschaftler in der BWL-Vorlesung

Albtraum BWL

Während ich an das denke, was ich am heutigen Tag vorhabe, wird mir angst und bange. Meine Knie zittern und ich betrete nur zögerlich die unbekannten Hallen des großen Hörsaals, in dem ich gleich für 90 Minuten einem Vortrag lauschen werde. Wäre ich Raucher, hätte ich vorher bestimmt noch eine letzte Beruhigungszigarette gequalmt, aber dummerweise war ich in meiner Jugend ja nicht rebellisch genug und setze mich so ganz ohne Nikotin-Schub in die letzte Reihe des über 500 Plätze fassenden Audimax 2. Denn heute werde ich etwas wagen, wozu vor mir wohl nur wenige den Mut hatten: Ich setze mich als völlig Fachfremder in eine BWL-Vorlesung.

Weg zur BWL-Vorlesung
Ich auf dem Weg in die BWL-Vorlesung.

Um zu verstehen, warum mir diese Aktion derartige Gänsehaut bereitet, muss man wohl meine persönliche Geschichte kennen. Ich studiere normalerweise im kulturwissenschaftlichen Bereich, oder, um es anders auszudrücken: Ich lerne brotlose Kunst und will später einmal Taxifahrer werden. Die Veranstaltungen, die ich besuche, finden normalerweise eher in kleinen Klassenräumen statt und haben manchmal weniger als zehn Teilnehmer. Natürlich habe ich da als Außenstehender – das will ich gar nicht abstreiten – meine Vorurteile zu Studiengängen wie BWL. Geht man zu solchen Vorlesungen nicht nur im Anzug? Werden die BWL-Studierenden später alle mal zwielichtige Bänker? Sind die Dozenten des Fachs alle verdrehte Zahlen-Nerds? Werde ich vor lauter Menschen überhaupt dem Vortrag folgen können?

BWL-Vorlesung
Meine Vorstellung eines vollen BWL-Hörsaals.

Während ich also mit diesen Hintergedanken ehrfürchtig den Hörsaal betrete, stelle ich mit Freuden fest, dass sich zumindest ein Vorurteil kaum bestätigen lässt: Den klassischen BWL-Studierenden zu definieren ist kaum möglich. In dem knapp halbvollen Raum sitzen alle möglichen Menschen und keine Büro-Zombies, ich entdecke sogar einen Typen mit Rastazöpfen, der in meinen Augen eher wie ein Anti-Kapitalist aussieht. Der Dozent sieht hingegen genau so aus, wie ich mir einen BWL-Prof vorstelle und scheint sehr auf ein angemessenes Hemd bedacht zu sein. Das gilt auch für die beiden Wirtschaftsprüfer, die heute zu Gast sind und den Vortrag übernehmen. Nach einer kurzen Ankündigung der beiden setzt sich der Prof selbst in die Reihen der Studierenden (persönliche Horror-Vision: Er setzt sich neben mich und stellt fest, dass ich keine Ahnung von seinem Stoff habe. Tritt zum Glück nicht ein.)

BWL Studenten
Die sehen doch eigentlich ganz nett aus.

Ich versuche tatsächlich angestrengt, dem Vortrag der beiden Dozierenden zu folgen, muss aber schnell feststellen, dass ich nicht einmal im Ansatz verstehe, wovon die Beiden da eigentlich reden. Nach gefühlt hundert mir unbekannten Fachbegriffen und einer für mein Empfinden extrem schnellen Abhandlung zahlreicher Themen schaue ich auf die Uhr und bin völlig aus den Socken, dass gerade einmal eine Viertelstunde vergangen ist. Ich bin schon stolz, wenn ich zumindest einmal eine Fragestellung verstehe. Die „Ermittlung der Anschaffungskosten“ wird etwa mittels eines sehr plastischen Beispiels erläutert und ich begreife zumindest das Problem. Die darauffolgende Antwort verstehe ich allerdings überhaupt nicht.

Wtf
Ich, beim Versuch, dem Vortrag zu folgen.

Der Blick in die Reihen der Studierenden ist im Gegensatz zum Vortrag tatsächlich schon irgendwie faszinierend. Ich stelle fest, dass die Anonymisierung durch die Größe des Hörsaals wohl tatsächlich dazu führt, dass die Aufmerksamkeit gerade in den hinteren Reihen eher gering ist. Teilweise geben sich die Studierenden noch nicht einmal die Mühe, bei ihren Unterhaltungen zu flüstern. Ich sehe diverse Browsergames auf den Bildschirmen der Laptops blinken und ein Kerl ein paar Reihen vor mir macht andauernd Snaps, die wohl bezeugen sollen, dass er in der Vorlesung sitzt. Dabei spielt er eigentlich nur ziemlich ausgiebig „Shakes And Fidget“. In den ersten Reihen sitzen hingegen scheinbar die, die wirklich aufmerksam sind und Fragen stellen, von denen ich kein Wort verstehe. Natürlich ist auch bei meinen Veranstaltungen die Beteiligung nicht immer allererste Sahne, ein derart durchmischtes Bild kenne ich aus meinen Mini-Seminaren allerdings nicht.

Are you even listening
Die hinteren Reihen der BWL-Vorlesung.

Am Ende der Veranstaltung stellen die beiden Gastredner noch den Beruf des Wirtschaftsprüfers vor. Da man um die zukünftige Existenz von uns Kulturwissenschaftlern offenbar große Angst hat, habe ich schon einige Berufsvorträge über mich ergehen lassen müssen, heute fällt aber das erste Mal in meinem Leben dabei der Begriff „Einstiegsgehalt“. Scheinbar etwas, worüber man in meinem Fachbereich besser nicht nachdenken sollte. Trotzdem bleibt am Ende des Vortrags für mich nur hängen, dass ich auf gar keinen Fall Wirtschaftsprüfer werden möchte. Andere fragen bei der Thematik hingegen sehr angeregt nach und scheinen von der Karriere der beiden Herren tatsächlich eingenommen zu sein.

Zahlen sind toll
Scheinbar gibt es doch Menschen, die sowas spannend finden.

Letzteres beruhigt mich etwas, denn ich habe nun zumindest Gewissheit, dass man BWL nicht unbedingt studiert, nur weil einem gerade nichts Besseres eingefallen ist. Es scheint wirklich Menschen zu geben, die begeistert von Zahlen, Finanzen und dem Wirtschaftsmarkt sind. Gleichzeitig blicke ich aber auch immer wieder in Gesichter von Studierenden, die dem Vortrag ähnlich unbeeindruckt wie ich lauschen, obwohl sie diese Veranstaltungen ja vermutlich regelmäßig besuchen. Ich nehme aus dieser Erfahrung daher mit, dass es immer zwei Seiten der Medaille gibt. Und trotzdem bin ich froh, wenn ich morgen wieder etwas über die Konzeption einer Wagner-Oper lernen kann.

Alright
Begeistert bin ich immer noch nicht, aber:
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