Geisteswissenschaften werden im öffentlichen Diskurs oft als Disziplinen zweiter Klasse wahrgenommen. Diese Fächer seien doch komplett redundant, weil sie der Menschheit schließlich keinen Fortschritt bringen würden. Was haben wir davon, wenn sich eine Gruppe junger Studierender zwei Stunden lang über die Bedeutung einen einzelnen Shakespeare-Zitats streitet? Warum konzentrieren wir uns nicht alle auf praktische Wissenschaft? Warum sollten wir die subjektive Ergebnislosigkeit der Geisteswissenschaften noch weiter fördern und uns nicht lieber alle auf medizinische Forschungen fokussieren, die der Gesellschaft wirklich helfen könnten?
Zugegeben, die faktischen Resultate von Geisteswissenschaften auf den Punkt zu bringen kann manchmal alles andere als leicht sein. Philosophen diskutieren in ihrem Fach zum Beispiel fast immer ohne das Ziel einer konkreten Antwort, sondern analysieren und wägen zwischen verschiedenen Positionen ab. Auch in der Betrachtung der Künste sieht es oft nicht weniger kompliziert aus. Musik- und Kunstwissenschaft leisten zwar auch viel Aufklärungsarbeit in der historischen Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte ihrer jeweiligen Betrachtungsgebiete, können aber in der einzelnen Besprechung ihrer Werke schon per Definition keine klaren Antworten über ihre intendierte Bedeutung liefern, weil sich Kunst gerade dadurch auszeichnet, dass sie faktisch nicht zu fassen ist. Daher ist die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Geisteswissenschaften gar nicht so abwegig. Warum sollen wir überhaupt eine Diskussion auf uns nehmen, die von vorneherein zu keinem Ergebnis kommen kann?
Die Antwort auf diese Frage ist weniger in dem praktischen Nutzen der Wissenschaft im Alltag als in der inneren Weiterbildung des Menschen zu suchen. Wer eine Geisteswissenschaft studiert, der tut das, weil er von seinem Thema begeistert ist und diesbezüglich seinen eigenen Horizont erweitern möchte. Es ist richtig, dass Kunst in den meisten Fällen nicht fassbar ist und auch nicht fassbar sein will. Dennoch ist sie zum Tode verurteilt, wenn es niemanden gibt, der über sie spricht. Deswegen sind geisteswissenschaftliche Disziplinen überlebenswichtig für die Erhaltung der Künste. Erst durch den Diskurs werden diese zum ambivalenten Objekt, das den Ausdruck verschiedenster menschlicher Emotionen zu vermitteln vermag.
Und warum ist Kunst wichtig für uns als Gesellschaft? Weil die Beschäftigung mit den schönen und abstrakten Dingen des Lebens eben auch dafür sorgt, dass wir nicht zu Robotern verkommen. Wer sich immer nur mit dem pragmatisch Fassbaren beschäftigt, der hat auch noch nie geliebt und noch nie in eine leckere Schokoladentafel gebissen, einfach nur weil sie so lecker schmeckt. Technologischer Fortschritt ist für das Vorankommen unserer Gesellschaft zweifellos essentiell. Aber wer deshalb allem anderen den Rücken kehrt, der hat nicht verstanden, dass genau diese Verrohung eine gefährliche Entwicklung ist, die in der Leistungsgesellschaft immer stärker überhand nimmt.