Wenn sich Studierende einer Geisteswissenschaft mal die Stundenpläne ihrer Kommilitonen aus der Chemie anschauen, schütteln sie gerne ungläubig mit dem Kopf. Während sie selbst oft bis auf einige Grundkurse frei wählen können, welche Seminare und Kurse sie belegen, ist die vorgegebene Taktung bei ihren naturwissenschaftlichen Kollegen deutlich höher. Teilweise sind ganze Semester komplett vorgegeben und die größten Entscheidungsfreiheiten bestehen darin, zwischen zwei Kursen auszuwählen. Natürlich gab es solcherlei Diskrepanzen zwischen den verschiedenen Studiengängen schon immer, aber gerade seit der Bologna-Reform ist die „Verschulung“ einiger Fächer noch deutlicher geworden. Viele kritisieren das – aber ist ein auferlegter Plan wirklich so dramatisch?
Wie so oft besteht die Welt auch hier nicht aus schwarz und weiß. Eine freie Gestaltung des eigenen Stundenplans hat natürlich offensichtliche Vorzüge und spricht deutlich mehr für das freiheitliche Leben an der Uni, das wir uns in einem Studium erhoffen. Aber wer Studiengänge immer nur aburteilt, weil sie nicht selbstbestimmt genug sind, der denkt nicht weit genug. Immerhin sind solche Fächer ja auch so klar durchbestimmt, weil sie im Normalfall einen sehr breiten Gegenstand betrachten. Ein gut durchgeplanter Studienplan ist da essenziell – und wenn der vorgegeben ist, dann kann man davon ausgehen, dass alles Notwendige in ausreichender Breite vorgesehen ist. Natürlich wird es sich so auch kaum vermeiden lassen, mal Themen mitzuschleppen, die einem nicht gefallen. Gleichzeitig wird man aber auch neue Bereiche entdecken, die man vorher nie auf dem Schirm hatte, die sich aber als interessant erweisen, wenn man sich mit ihnen beschäftigen muss. Das vorgetaktete Studium ist im Grunde so eine Hilfestellung für fachliche Weitsicht – und die Chance, alle Seiten eines Fachs kennenzulernen.
Dennoch lohnt es sich, auch einen kritischen Blick auf diktierte Stundenpläne zu werfen. Was hier nämlich trotz allem oftmals wegfällt, ist die eigene Entfaltung im Selbststudium. Das liegt nicht nur daran, dass die Pläne dieser fraglichen Fächer oft so vollgestopft sind, dass für andere Aktivitäten nur noch marginal Zeit bleibt, sondern auch, weil die ständige Diktion vorgegebener Lernpläne kaum anregt, sich selbstständig mit etwas zu beschäftigen. Ein solcher Umgang mit dem eigenen Studium hängt zwar auch ein Stückweit mit den Studierenden selbst zusammen, aber trotzdem ist es fragwürdig, ein solches Verhalten zu fördern. Und: Wer sich durch Wahlpflichtmodule bewusst für eine Veranstaltung entscheidet, der wird tendenziell eher dazu geneigt sein, dort auch tatsächlich anwesend zu sein und sich an Diskussionen zu beteiligen. Eine angenehm lebhafte Seminar-Kultur erlebt man deswegen vor allem oft in Kursen, die keine verpflichtenden Anwesenheit haben.
Ob Wahlpflicht oder Pflichtkurs also die bessere Option für einen Studienplan sind, ist in gewisser Weise typabhängig und teilweise auch durch den Stoff der jeweiligen Fächer bedingt. Es ist durchaus berechtigt, sich kritisch mit einer Studienform auseinanderzusetzen – aber wer immer nur eine Seite sieht, der macht es sich zu einfach.