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Protokoll des Schreckens: Ein Tag Aufschieberitis

Während ich diese Zeilen schreibe, ist es 8 Uhr am Morgen. Ich bin seit 20 Stunden wach und muss gleich noch sechs quälend lange Stunden in der Uni verbringen. Warum ich heute nicht geschlafen habe? Weil ich mich in dieser Nacht mal wieder in meiner absoluten Königsdisziplin beweisen musste: Arbeiten in der letzten Minute erledigen. Das folgende Protokoll soll euch einen Einblick darauf geben, wie sich die Ereignisse der letzten Stunden zugetragen haben.

15. Juli, 12 Uhr

Ich erwache gut ausgeschlafen im Bett neben meiner Freundin. Die Mittagssonne steht draußen am Himmel, ich fühle mich fit und pudelwohl – eigentlich ein idealer Tag, um dringende Arbeiten zu erledigen. Und davon habe ich so einige. Ich sitze dieses Semester in einem Seminar über Audioproduktionen, zu morgen soll ich eine Radioreportage fertiggestellt haben. Meine Interviews dafür habe ich schon brav geführt, allerdings fehlt mir noch eine Audiodatei, die ich von einem Freund bekommen soll. Zum Glück ist er schnell dabei und schickt mir das notwendige Gut prompt. Eigentlich könnte ich jetzt also direkt loslegen. Aber erstmal wird natürlich gefrühstückt.

15. Juli, 15 Uhr

Jetzt sitze ich mit dem Laptop auf meinem Bett, um mir selbst vorzumachen, ich würde etwas tun. Ich schnappe mir ein paar meiner Audio-Rohdateien und schnippele sie ab und zu in meinem Bearbeitungsprogramm zurecht. Aber eigentlich sind ja die ganzen Menschen, die sich auf das freie Zimmer in meiner WG bewerben, viel interessanter. Lange arbeiten kann ich eh nicht, denn um 17 Uhr fängt ja das WM-Finale an.

15. Juli, 17 Uhr

Das Finale beginnt, meine bisher erzielten Erfolge sind marginal. Aber macht ja nichts, um ein ganzes Skript zu schreiben, meine Moderationstexte einzusprechen, alles zurechtzuschneiden und Musik hinzuzufügen ist ja wirklich noch genug Zeit. Also keine Angst, das schaffe ich problemlos. In der Halbzeitpause schneide ich dann nochmal ein bis zwei Samples aus. Kleinvieh macht ja auch Mist.

15. Juli, 20 Uhr

Mit dem Gefühl, meine Lebenszeit noch nie so sehr mit einem ätzenden Fußballspiel verschwendet zu haben, sitze ich vor einem ziemlich weißen Word-Dokument. Eigentlich kann ich ja schreiben, das ist schließlich auch mein Job. Aber so richtig in den Flow komme ich nicht. Ich schreibe Sätze im Viertelstundentakt und gucke mir zwischendurch seltsame Yu-Gi-Oh!-Videos an, die in letzter Zeit eine merkwürdige Faszination auf mich ausüben. Ich habe das seit meiner frühen Jugend nicht mehr gespielt und keine Ahnung, wie die ganzen neuen Regeln funktionieren. Aber irgendwie ist es spannend, wie da Typen von Sachen reden, von denen ich kein Wort verstehe. Weiß auch nicht warum.

15. Juli, 22:30 Uhr

Um richtig zu Abend zu essen, habe ich auch keine Zeit, weil ich ja so viel tue. Deswegen schaufele ich mir unentwegt Reiswaffeln rein, die neben mir liegen. Meine Freundin geht ins Bett, sie muss morgen früh arbeiten. „Und, kommst du voran?“ – „Läuft“. In meinem Kopf meldet sich eine Erzählerstimme: „Aber es lief überhaupt nicht.“

16. Juli, Mitternacht

Ich realisiere, dass ich wohl durchmachen muss und ziehe daraus irgendwie die falschen Schlüsse. Da ich durch diese Entscheidung jetzt wieder ein größeres Zeitfenster habe, gönne ich mir erstmal eine einstündige Assi-TV-Doku über ein wildgewordenes Tokio-Hotel-Fangirl. Höhö, lustig. Zum Glück bin ich nicht so doof wie die.

16. Juli, 2 Uhr

Was soll ich sagen? Irgendwie habe ich es ja doch hinbekommen, mein Skript fertig zu schreiben. Jetzt also den geschriebenen Text aufnehmen. Da ich zu dieser unchristlichen Uhrzeit niemanden stören möchte und außerdem durch mein Zimmer irgendwelche komischen Radiowellen laufen, die Aufnahmen immer etwas unschön klingen lassen, verkrieche ich mich in den Keller. Dort hallt es eigentlich viel zu sehr, aber ich baue mir aus Wäscheleinen und Bettdecken eine eigene kleine Studiobox. Ich muss sagen, darauf bin ich schon ein wenig stolz. Auf meinen ersten Aufnahmen klinge ich wie ein bekiffter Zombie, mit der Zeit wird mein Elan aber größer. Vor allem, als mich ein Kumpel völlig betrunken von der Firmenfeier aus anruft und eine Dreiviertelstunde mit mir quatscht. Ich hab‘ ja Zeit.

16. Juli, 4:30 Uhr

Die Aufnahmen sind im Kasten, ich muss jetzt nur noch schneiden! Ich hole mein Abendessen nach und schmeiße eine halbe Packung Kroketten in den Ofen, die ich einfach so mit Ketchup verspachtele. Meine Freundin steht auf. Die muss jetzt zur Arbeit. Ich aber auch. Immerhin ist es schon hell und mein Seminar beginnt in fünf Stunden.

16. Juli, 6 Uhr

Ich bin fasziniert, wie viel Zeit meine Interviewpartner damit verbracht haben, das Wort „Ähhh“ zu benutzen. Muss ich alles rausschneiden. Ich frage mich, wie viel Lebenszeit ein Mensch wohl mit diesem Wort verbringt. Hier sind es auf dreizehn Minuten Beitrag etwa 30 Sekunden. Das sind knappe vier Prozent. Wenn wir das auf eine durchschnittliche Lebensdauer von 80 Jahren hochrechnen, verschwenden wir also 3,2 Jahre unseres Lebens damit, „Ähhh“ zu sagen. Wie viel Zeit ich wohl schon damit verschwendet habe, mir über solchen Firlefanz Gedanken zu machen, nur um wichtige Arbeiten aufzuschieben?

16. Juli, 7 Uhr

Boom Baby, ich bin fertig! Ich bin so stolz auf mein Ergebnis, dass ich es mir drei Mal hintereinander anhöre. Noch satte drei Stunden bis zum Seminar. Schlafen gehen lohnt jetzt eh nicht mehr, also kann ich auch noch fix diesen Artikel für StudentsStudents fertig machen. Und dann gibt’s direkt Kaffee. Also gleich. Nur noch ein Youtube-Video.

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