Eigentlich sind wir als Studierende ja immer dazu angehalten, alles möglichst schnell zu machen: Bachelor und Master am besten in Regelstudienzeit, parallel vorzugsweise noch zwei Praktika und zwischendrin noch eben Geld verdienen, um die horrenden Mieten des Wohnheims bezahlen zu können. Trotzdem wollen dieselben Menschen, die genau diesen Druck in uns auslösen, uns gleichzeitig auch noch unbedingt zur Zeit unseres Lebens drängen. „Erasmus“ steht irgendwo auf jedem zweiten Zettel am schwarzen Instituts-Brett, wir werden zugebombt mit Bildern von Studi-Gruppen auf knallgrünen Blumenwiesen irgendwo in England, verschiedene Förderprogramme ermöglichen es uns, quasi die gesamte Welt zu bereisen. Eine tolle Möglichkeit! Aber was, wenn wir darauf überhaupt keinen Bock haben?
Auslandssemester werden stets glorifiziert und das eigentlich durchaus zurecht. Das Erkunden anderer Kulturen kann unseren Horizont enorm erweitern. In unseren jungen Jahren haben wir viel Zeit, um lange Reisen zu unternehmen. Es macht absolut Sinn, diese zu nutzen, bevor wir irgendwann mal einen festen Job und/oder eine Familie haben. Und ganz nebenbei macht sich so ein Trip ins Ausland schließlich auch hervorragend im Lebenslauf. All diese Vorteile sind auf keinen Fall von der Hand zu weisen. Problematisch wird es nur, wenn uns das Gefühl gegeben wird, eigentlich kein normales Leben mehr führen zu können, ohne einmal über den Tellerrand unserer eigenen Universität hinausgeblickt zu haben.
Denn genau dieses Gefühl bekommen wir von all den Werbeanzeigen für spannende Auslandserfahrungen tagtäglich vermittelt: Du bist langweilig, wenn du nicht ins Ausland gehst! Du verpasst eine große Möglichkeit, wenn du dich nicht genau jetzt um einen Erasmus-Platz bewirbst! Wenn du nicht mindestens einmal ein paar hundert Kilometer von deinem Wohnort gelebt hast, dann war das Studium einfach nur halb so toll! Dabei gibt es alle möglichen Gründe, aus denen man keine Lust auf Auslandserfahrungen haben kann – und auch das sollte völlig OK sein.
Denn letztendlich führt dieser gesellschaftliche Druck um den Auslandskult eigentlich nur dazu, dass viel zu viele Menschen ein Erasmus-Semester machen, obwohl sie eigentlich keine wirklichen Ambitionen dazu haben und schulterzuckend aus einer Umgebung zurückkehren, die ihnen eigentlich so viel hatte bieten sollen. Immerhin können diese jetzt einen Punkt aus der Liste der essentiellen Lebenserfahrungen abhaken – aber hat es sie auch wirklich bereichert? Viele Erasmus-Studenten verbringen wohl auch mangels Inspiration enorm viel Zeit beim Feiern oder stürzen sich in permanentes Studieren des Lehrmaterials. Letzteres bleibt schließlich auch im Ausland nicht aus. Aber hätte man das alles nicht genau so gut auch zu Hause machen können?
Schlussendlich musst nur du dich selbst fragen, ob du wirklich woanders hinreisen möchtest, oder ob du dieses Gefühl nur hast, weil es dir jemand aufzwingen möchte. Und wenn du zu dem Schluss kommst, dass du dich zu Hause gerade eigentlich ganz wohl fühlst, dann mach dir selbst keinen Druck, weil du glaubst, gerade etwas Wichtiges zu verpassen. Unser Leben gehört uns – und das, was wir daraus machen wollen, ist genau das Richtige!